einfach zum Nachdenken

einfach zum Nachdenken

Unlängst bin ich wieder einmal über die weihnachtlichen Einkaufsstraßen gebummelt, habe mich von den Liedern aus den Lautsprechern in Stimmung versetzen lassen und daran erinnert, wie es einmal war, die Weihnachtszeit.

Bei einem der Punsch Standeln, wo ich mir auch einen zur Wärmung vergönnt habe, stand ein alter Sandler, wie es sie in Wien zu hunderten gibt, betrunken zwar, aber immer noch einen herzhaften Schmäh auf den Lippen. Nachdem wir uns ein paar Witze erzählt haben und herzhaft darüber lachten, wollte ich eigentlich weiter gehen.

In dem Gedränge, das in der Vorweihnachtszeit auf den großen Straßen herrscht, stolperte direkt neben uns eine alte Frau und fiel hin. Schmerzverzerrt lag sie am Boden, wollte selbst wieder aufstehen, aber konnte nicht mehr. Mehrere Leute gingen einfach vorbei, ohne sie zu beachten, einer sagte sogar „na – scho zvü Äuk intus, Oide?“. Der Sandler neben mir war schneller als ich, er war schon bei der Alten, als ich erst mitbekommen hatte, was passiert war.

Freundlich und hilfsbereit versuchte er ihr, wieder auf die Füße zu kommen, doch sie schien sich ernsthaft verletzt zu haben. Etwas hilflos blickte der Alte in die Runde, worauf ich sofort meinte „ich rufe besser die Rettung“ und zum nächsten Telefon lief. Nachdem ich den Anruf erledigt hatte („is de Oide eh nüchtern?“….) ging ich zu den beiden zurück. Immer noch eilten die Menschen an den zwei Alten vorbei, nahmen kaum zur Kenntnis, was da ablief. Doch der Sandler hielt die alte Frau im Arm und sprach ihr Mut zu – „wird scho wern, wiast segn, zum Häulichn Obnd bist wieda daham!“

Verängstigt und hilflos wie ein Kind, das seine Eltern verloren hatte, lag die Frau noch immer am Boden und fror. Auch als ich meinen Mantel auszog, um sie damit zuzudecken, wurde ihr nicht wirklich warm. Die Minuten vergingen, die Menschen hasteten vorbei, einer nach dem anderen. Doch immer noch saß der Sandler neben ihr, ließ sie nicht aus einem Arm und sprach mit ihr. Immer noch kam die eine oder andere Meldung von den Menschen, die vorbei rannten – „wanns as ned vadraugts, warum saufts dann so vü?“ oder „legts eich wo anders zum schlafm hi – des is ka bruckn do“. Doch die beiden sprachen kein Wort zurück, sahen nur einander und halfen sich gegenseitig, die Kälte der Menschen um sich herum nicht zu spüren.

Als dann die Rettung endlich kam, um sie ins Spital zu bringen, fuhr der Sandler mit. Ich habe die beiden nie wieder gesehen, habe auch trotz Nachfrage nichts vom Spital erfahren – das einzige, was mich erinnern läßt, daß es sie gab, ist die Kälte, die ich manchmal spüre, wenn ich wieder die vorweihnachtlichen Straßen durchwandere und selbst nach dem Christkind suche, das es in meiner Kindheit einmal gab.

GF © 01.12.1996

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