In Bewegung genießen
Ein sehr lieber Mensch schrieb mir heute in einer Mail:
>Bedenke dabei: DER WEG IST DAS ZIEL!
Zu dieser Aussage fällt mir nur mehr ein bildlicher Vergleich ein: Es gibt ja dieses schöne alte Märchen vom Gold am Fuße des Regebogens, vom Topf, den mensch nur ausgraben braucht, um bis an’s Ende seiner Tage glücklich vom Inhalt zu leben. Immer mehr Menschen, denen ich so begegne, leben nach dem Prinzip der Suche und der Erwartung, daß sie doch endlich einmal das Ende des Regenbogens erreichen und den Topf voll Gold finden werden; dabei übersehen sie oft, daß der Regenbogen nicht einen Punkt sondern eine Fläche als Ende hat – und daß das Gold, das sie erwarten, einfach durch die Sonne in den Tautropfen auf den Grashalmen schon lange vorhanden ist. Daher leben meiner Meinung nach so viele unglücklich vor sich hin, weil sie einfach nicht in der Lage sind, den schönen Wald vor ihren Augen zu erkennen, da sie nach den Bäumen suchen und enttäuscht sind, weil diese nicht ihrer Vorstellung und Erwartung vom Wald entsprechen.
Es gibt so viele schöne Dinge, Momente und Gefühle im Leben – ich genieße sie gerne dann, wenn ich sie erhalte, und freue mich ganz besonders, wenn ich auf andere treffe, die das auch können 🙂
Sicher ist es wichtig, auch die Zukunft zu sehen, aber genauso wichtig ist es, den Augenblick zu erkennen, an dem die Sonne aus kleinen naßkalten Tautropfen wunderschöne Goldperlen zaubert – und aus einer nicht mehr funktionierenden Beziehung eine herrliche Freundschaft entstehen kann. Aber dazu muß mensch die Augen öffnen und sehen wollen – muß Mensch auch akzeptieren können, daß das wahre Gold, das glücklich macht, nur im Inneren entstehen und sich vermehren kann.
Umso schöner ist es, wenn man(n) dann auf eine Frau trifft, die ihm diesen (schon verlorenen) Blick zurückgibt, ohne zu sagen „du bist ja blind – du kannst das gar nicht sehen“. Und eben das ist es, was mir gestern „widerfahren“ ist, was mich so sicher sein läßt, daß das ein Weg ist, an dem einer der vielen Regenbögen seinen Endpunkt hat. Doch wie auch die Sonne sich im Tagesverlauf bewegt und mensch ihr folgen muß, damit die Goldperlen nicht wieder zu naßkalten Tautropfen werden, genau so muß jede Art von Beziehung, gerade auch eine Freundschaft, in Bewegung bleiben und gehegt werden.
GF © 03.02.1997